von Yue Sakuya Noire » 14. Jul 2007, 00:04
Titel: Necroscope
Autor: Brian Lumley
Verlag: Festa Verlag
Preis: etwa 10 Euro
Aus einer Leseprobe des Verlags [Band I]:
Hinter dem Wandschirm begann der ›Mann mit den einzigartigen Fähigkeiten‹ wie elektrisiert zu zucken. Als hinge er an den Fäden eines irrsinnigen und unsichtbaren Puppenspielers, wirkten seine plötzlichen, unerwarteten Bewegungen unberechenbar und fast schon spastisch. Sein rechter Arm wirbelte in Richtung der Tasche mit den Instrumenten und warf sie fast vom Tisch. Seine Hand, die sich zu einer grauen Kralle gekrümmt hatte, vollführte einen weiten Bogen, als dirigiere sie ein ungewöhnliches Konzert – doch statt eines Taktstocks befand sich in der Hand ein glänzendes, sichelförmiges Skalpell. Alle drei Zuschauer neigten sich nun nach vorn, die Augen aufgerissen und der Mund weit offen; doch während die Gesichter der beiden Jüngeren von einem unfreiwilligen Grinsen des Unglaubens verzerrt wurden und sie jeden Augenblick zusammenfahren oder gar aufschreien würden, wenn gleich das geschah, was sie vermuteten, war das Gesicht ihres Vorgesetzten nur von Wissen und morbider Erwartung erfüllt. Mit einer Genauigkeit, die dem scheinbar willkürlichen Bewegungen seiner anderen Glieder – die jetzt zuckten wie die eines toten Frosches, denen die Elektrizität ein eigenes Scheinleben aufzwingt – zu spotten schien, glitt der Arm des nackten Mannes herab. Der Leichnam wurde von oberhalb des Brustkorbes über den Nabel bis hinab zum drahtigen Büschel grauen Schamhaares aufgeschnitten. Zwei weitere scheinbar ziellose, doch vollkommen exakte Schnitte, die so bald folgten, dass sie noch Teil der ersten Bewegung zu sein schienen, und der Leib des Kadavers war mit einem großen ›I‹ mit weitläufigen Balken oben und unten versehen. Ohne Pause warf nun der mit grausiger Automatik vorgehende Urheber dieser schrecklichen Chirurgie seine Klinge durch den Raum, vergrub die Hände bis zu den Gelenken im mittleren Einschnitt und öffnete die Bauchlappen des Toten wie die Türen eines Schranks. Die erkalteten Gedärme dampften nicht, als sie bloßgelegt wurden, kein Blut floss aus der Öffnung, doch als der nackte Mann die Hände wieder hervorzog, glänzten sie tiefrot, als habe er sie in frische Farbe getaucht. Diese Öffnung des Körpers hatte einer fast herkulischen Kraftanstrengung bedurft – man konnte sehen, wie die Muskeln des Mannes an den Oberarmen und seitlich des Brustkorbes anschwollen –, denn das ganze Gewebe, das die beschützenden Außenschichten des Magens zusammenhält, musste mit einem Mal zerrissen werden. Das geschah mit einem wilden Knurren, das über den Lautsprecher deutlich hörbar war, wobei die Lippen sich von den zusammengebissenen Zähnen zurückzogen und die Sehnen seines Halses deutlich sichtbar hervortraten.
Doch nun, da die Eingeweide seines Opfers gänzlich entblößt waren, überkam ihn wieder eine sonderbare Ruhe. Möglicherweise war seine Haut noch grauer als zuvor, als er sich wieder aufrichteteund die roten Hände herabhängen ließ. Er beugte sich wieder nach vorne, richtete seine klaren blauen Augen nach unten und widmete sich einer langsamen und sorgfältigen Untersuchung des Innern der Leiche. Im Nebenraum würgte der Mann zur Linken unablässig. Seine Hände gruben sich in die Armlehnen des Sessels, und sein Gesicht war von glänzendem Schweiß bedeckt. Der andere hatte die Farbe von Schiefer angenommen, zitterte am ganzen Leib und keuchte rasch, um seinem rasenden Herzen Luft zu verschaffen. In ihrer Mitte war der ehemalige Armeegeneral Gregor Borowitz, inzwischen Leiter der streng geheimen Dienststelle für die Entwicklung paranormaler Spionage, völlig ins Geschehen vertieft. Sein Gesicht mit den hängenden Wangen war voller Erstaunen, als er jede Einzelheit der Darbietung in sich aufnahm und er das Unbehagen seiner Untergebenen zu ignorieren versuchte, so gut er konnte. Am Rande seines Bewusstseins formte sich ein Gedanke: Er fragte sich, ob den anderen übel würde, und welcher sich zuerst übergeben würde. Und wo er sich übergeben würde. Unter dem Tisch stand ein Abfallkorb aus Metall, in dem sich einige zerknüllte Papiere und Zigarettenkippen befanden. Ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden, hob Borowitz den Eimer auf und stellte ihn mitten auf den Tisch vor sich. Er dachte: Sollen sie es ruhig unter sich ausmachen.
Als habe er seine Gedanken gelesen, keuchte der Mann zur Rechten: »Genosse General, ich glaube nicht, dass ich …« »Seien Sie still!« Borowitz trat mit dem Fuß gegen den Knöchel des anderen. »Sehen Sie zu, wenn Sie können. Falls nicht, dann seien Sie wenigstens ruhig und stören mich nicht!« Der nackte Mann hatte sich vornüber gebeugt, so dass nur noch wenige Zentimeter sein Gesicht von den entblößten Eingeweiden des Leichnams trennten. Seine Augen zuckten von rechts nach links, von oben nach unten, als suchten sie nach etwas, das sich dort verbarg.
Seine Nasenflügel blähten sich und schnupperten argwöhnisch. Seine Stirn, bislang glatt, hatte sich in unglaubliche Falten gelegt. Er glich jetzt einem großen, nackten Bluthund, der die Fährte seiner Beute wittert. Dann spielte ein dünnes Lächeln um seine grauen Lippen – der Schimmer einer Offenbarung, eines enthüllten Geheimnisses, spiegelte sich in seinen Augen. Als würde er sagen: »Ja, etwas ist hier drin, es versucht sich zu verstecken!«
Und dann warf er den Kopf zurück und lachte – sehr laut, wenn auch nur kurz –, bevor er die intensive Untersuchung fortsetzte. Doch nein, es war noch nicht genug, das verborgene Ding kam nicht hervor. Es entfloh seinem Blick, und augenblicklich verwandelte sich Fröhlichkeit in Zorn!
Er keuchte vor Wut, und sein graues Gesicht zitterte im Griff unvorstellbarer Gefühle. Der Nackte ergriff ein schmales Gerät, dessen Schärfe sich im Licht widerspiegelte. Erst schien er einem Plan zu folgen, als er die verschiedenen Organe, die Luftröhre und die Blase entfernte, doch je weiter seine Arbeit voranschritt, desto grauenhafter und wahlloser wurde sie, bis die Gedärme in grotesken Fetzen und Lappen aus der Leiche über den Rand des Metalltisches hingen. Und noch immer war es nicht genug, noch immer konnte er seine
Beute nicht erwischen. Er gab einen Schrei von sich, der durch den Lautsprecher im
Nebenraum wie das Quietschen von Kreide auf einer Tafel klang, wie eine Schaufel, die in alter Asche kratzt. Er schnitt fürchterliche Grimassen, als er anfing, die baumelnden Fetzen abzuhacken und um sich zu werfen. Er schmierte sie über seinen Leib, hielt sie an sein Ohr und ›lauschte‹ ihnen. Er schleuderte sie weit von sich, warf sie über seine gebeugte Schulter in eine Wanne und das Waschbecken. Überall klebte geronnenes Blut. Und wieder zerriss sein Schrei der
Enttäuschung, der unheimlichen Wut, fast den Lautsprecher: »Nichts! Nichts!«
Im Nebenraum hatte sich das Keuchen des Mannes zur Rechten in ein erbärmliches Röcheln verwandelt. Plötzlich griff er sich den Abfalleimer auf dem Tisch, schwankte von seinem Sessel und taumelte in eine Ecke des Raumes. Borowitz hielt ihm unwillig zugute, dass all das verhältnismäßig ruhig vor sich ging.
»Mein Gott, mein Gott!«, stieß der Mann zur Linken wieder und wieder hervor, mit jedem Mal lauter als zuvor. Und: »Grauenhaft, grauenhaft! Er ist abartig, wahnsinnig, ein Monster!« »Er ist brillant!«, knurrte Borowitz. »Sehen Sie? Sehen Sie? Jetzt geht er der Sache auf den Grund …«
Jenseits der Glaswand hatte der nackte Mann nach einer chirurgischen Säge gegriffen. Arm, Hand und das Instrument selbst verschwammen tiefrot, grau und silbern, als er am Brustbein sägte. Schweiß strömte über seine blutverklebte Haut und tropfte wie heißer Regen herab, während er an der Brust des Toten arbeitete. Sie gab nicht nach; die Klinge der Silbersäge brach ab, er warf sie zu Boden. Er heulte wie ein Tier und bewegte sich wie ein Wahnsinniger, als er den Kopf hob und sich suchend im Raum umschaute. Seine Augen ruhten kurz auf einem Metallstuhl und weiteten sich in einer Eingebung. Einen Augenblick später hatte er den Stuhl ergriffen und benutzte zwei der Beine als Hebel in dem frisch aufgeschnittenen Kanal. Knochen krachten und Fleisch riss, als die linke Brusthälfte des Leichnams sich erhob, nach hinten gedrückt wurde und eine Falltür
im Oberkörper bildete. Die Hände des Nackten fuhren hinab. Ein schrecklicher Ruck, und sie kamen wieder hervor und hielten die Beute hoch. Doch nur für einen Augenblick, dann – Die Hände mit dem Herz weit von sich gestreckt, tanzte der nackte Mann durch den Raum, wirbelte immer wieder im Kreis herum. Er
umarmte es, hielt es an seine Augen und Ohren. Er drückte es an die eigene Brust, liebkoste es, seufzte wie ein Kleinkind. Er ächzte vor Erleichterung, und heiße Tränen strömten über seine grauen Wangen. Und im nächsten Moment schien ihn alle Kraft schon wieder verlassen zu haben.
Seine Beine zitterten. Noch während er das Herz umarmte, stolperte er, fiel zu Boden und kauerte sich fast wie ein Fötus zusammen. Das Herz wurde von seinem Körper verborgen. Er blieb still liegen. »Geschafft«, sagte Borowitz, »vielleicht!«
Er stand auf, ging zum Lautsprecher und drückte einen zweiten Knopf, auf dem ›Sprechanlage‹ stand. Doch bevor er sprach, warf er aus den Augenwinkeln einen Blick auf seine Untergebenen. Der eine hatte sich nicht aus seiner Ecke gerührt, wo er jetzt mit hängendem Kopf und dem Eimer zwischen den Beinen saß. In einer anderen Ecke beugte der zweite Mann sich vor und zurück, mit den änden auf den Hüften. Er atmete aus, wenn er sich vorbeugte, und atmete ein, wenn er sich wieder aufrichtete. Die Gesichter der beiden Männer waren schweißnass.
»Ha!«, grunzte Borowitz und wandte sich dann dem Lautsprecher zu: »Boris? Boris Dragosani? Können Sie mich hören? Ist alles in Ordnung?«
Im Nebenraum rührte sich der Mann auf dem Boden, streckte sich, hob den Kopf und sah sich um. Dann schauderte er und stand rasch auf. Er glich jetzt wieder eher einem Menschen, weniger einem abartigen Roboter, auch wenn er noch immer grau wie Blei war. Seine nackten Füße glitten auf dem schleimigen Boden aus, so dass er leicht taumelte, doch er hatte sein Gleichgewicht schnell wieder gefunden. Dann sah er das Herz in seinen Händen, schauderte ein zweites Mal, schleuderte es weg und wischte die Hände an den Schenkeln ab.
<span style='font-size:8pt;line-height:100%'><span style='color:BlueViolet'><i>Unzucht und Lasterhaftigkeit sind bloß Ausdruck der persönlichen Entfaltung.</i></span></span>