eclipse hat geschrieben: Außer mir regt sich doch eh keiner über die kulturverachtende Rechtschreibreform auf (der ich im übrigen niemals beitreten werde!!),
Hast Du eine Ahnung!
Als Germanistikstudent bin ich durch meinen strikten Boykott dieses Eingriffs in die natürliche Entwicklung der Sprache allerdings erheblichen Anfeindungen und Schwierigkeiten ausgesetzt. Das fängt beim Debattieren mit den lieben Kommilitonen an und hört beim Schreiben der Hausarbeiten auf.
Ich verstehe diese ganzen Verunglimpfungen einfach nicht. Drei gleiche Konsonanten hintereinander - wo gibt's den sowas?! Und dann diese neuen Groß- und Kleinschreibungen. Und diese offensichtliche Abneignung gegen das "ß". Und diese sinnentfremdenden Auseinanderschreibungen... und neue Trennungegesetze... die Liste der Dinge, über die ich mich aufregen könnte, ist schier unendlich.
Letzlich ist aber das größte Ärgernis, daß die Herrschaften sich nicht einig werden und immer wieder Änderungen vornehmen. Die armen Schüler. Es ist alles eine ungeheuerliche Geldverschwendung und Zeitverschwendung. man kann als Sprachwissenschaftler gerne kritische Bücher schreiben und hoffen, daß sich dadurch ganz natürlich die Schreibgewohnheiten ändern werden, aber das per gesetz durchzukloppen, ohne Rücksicht auf Verluste, finde ich fast schon faschistoid!
Hier der schöne Spiegel-Artikel von Marcel Reich-Ranicki zum Thema:
"Unzweifelhaft eine Katastrophe"
Marcel Reich-Ranicki zur Debatte über die Rechtschreibreform
Wir, die Schriftsteller und Journalisten in den vier deutschsprachigen Ländern, haben gewarnt und gebeten und erregt gefordert. Wir haben uns empört. Aber alles war vergeblich. Wahrscheinlich haben wir die Gefahr unterschätzt. Ich bekenne mich schuldig. Denn ich habe vor genau vier Jahren öffentlich erklärt, dass ich die neue Rechtschreibung "für ein großes Unheil, beinahe für eine nationale Katastrophe" halte. Warum "beinahe"? Es war schon damals unzweifelhaft eine Katastrophe und ist es heute erst recht.
Ein Chaos ist entstanden, an dem vor allem jene leiden, die es nicht ignorieren dürfen: die Lehrer und die Schüler. Besonders schlimm, weil unvernünftig, ja töricht ist die neue Getrenntschreibung.
Die "frischgebackene (also erst neulich geschlossene) Ehe" soll jetzt "eine frisch gebackene (also offenbar gerade dem Ofen entschlüpfte) Ehe" werden. War es richtig, Günter Grass den Nobelpreis zu verleihen? Die neue Rechtschreibung ist nicht sicher: Es handelt sich nicht etwa um einen "wohlverdienten Preis", was unmissverständlich ist, sondern nur um einen "wohl verdienten", also vermutlich verdienten Preis. Bisweilen sind die von den Reformern zugelassenen Trennungen geradezu absurd, aus "Demokratie" soll "Demok-ratie" werden dürfen. Es geht doch nicht um die Ration aus der Volksküche, sondern um das "Kratein", das Herrschen des Volkes.
Nicht besser ist es um die Großschreibung bestellt. Aus "zeitraubend" wird das schwerfällige "Zeit raubend". Statt "leidtun" sollen wir die pathetische Wendung "Es tut mir Leid" gebrauchen. Und die Wendung "das bei weitem nichts Sagendste" ist ganz einfach miserables, falsches Deutsch: So wie sich von "nichts" ein Superlativ nicht bilden lässt, so auch nicht von dem Verb "sagen". Das schöne Adjektiv "tiefschürfend" wird zerschlagen zu "tief schürfend" - da assoziiert der Leser eher einen Bagger als einen Gedanken.
Sie werden gequält und sind, bisher jedenfalls, wehrlos: die Deutschlehrer und ihre Schüler. Für die Schriftsteller freilich gilt das nicht: Sie halten sich (nahezu ausnahmslos) an die alte Rechtschreibung. Schon das sollte jenen, die das alles angerichtet haben, zu denken geben - den Kumikonern, also den Mitgliedern der Kultusministerkonferenz. Sie sollten nicht vergessen, dass es sehr leichtsinnig ist, alle zeitgenössischen Schriftsteller auf einmal zu brüskieren. Deren Wort lebt ungleich länger als die Anordnungen und Vorschriften der Beamten.
Was tun? Die Beibehaltung des jetzigen Zustands ist undenkbar. Aber zur Rückkehr zur alten Rechtschreibung ist es schon zu spät. Sie hat sich bewährt, doch heilig ist sie nicht. So läuft alles auf einen Kompromiss hinaus, einen wohlbedachten, nicht wohl bedachten. Vor behutsamen und vernünftigen, vor unbedingt notwendigen Korrekturen sollte man nicht zurückschrecken. Nur darf man dabei nicht vergessen, dass diejenigen, die etwas kaputtgemacht haben, am wenigsten berufen sind, die Sache wieder in Ordnung zu bringen.
In keinem der großen europäischen Länder ist die Kluft zwischen der Sprache des Volkes, des Alltags zumal, und der Sprache der Literatur so tief wie in unserer Welt: Niemand sprach vor hundert Jahren, wie Rilke oder Thomas Mann geschrieben haben, niemand spricht heute wie Günter Grass, wie Enzensberger oder Siegfried Lenz.
Eine gemeinsame Ebene, auf der sich der künstlerische Ausdruck mit dem Ausdruck des Volkes treffen würde, hat es bei uns - anders als in England oder gar in Frankreich - nie gegeben. Wenn die Umgangssprache in die Literatur aufgenommen wurde (wie etwa in den Dramen Gerhart Hauptmanns), dann waren es Anleihen aus dem Schlesischen oder Berlinerischen, die vom Autor, bei Lichte besehen, wie Zitate behandelt wurden.
Ob diese Zweiteilung in Zukunft erhalten bleiben wird, können wir nicht voraussehen. Aber wir können immerhin einer ähnlichen Zweiteilung im Bereich der Orthographie entgegenwirken. Mit anderen Worten: Es wäre verheerend, sollte es sich einbürgern, dass für die Schriftsteller eine andere Rechtschreibung gilt als für die Schüler unserer Grundschulen. Die Kluft, von der die Rede war, würde noch tiefer.
Es sei, könnte man einwenden, der Kompromiss, für den man sich jetzt meiner Ansicht nach zu entscheiden hat, sehr kostspielig. Schon wahr, nur ist er unvermeidbar und wird mit jedem Jahr noch kostspieliger. Die Sprache, hört man oft, sei unser teuerstes Gut. Das sollte man ernst nehmen - was eben nicht billig zu haben ist.
<span style='font-size:7pt;line-height:100%'> Ein bißchen traurig ist es schon, daß dieser Artikel gemäß der NEUEN Rechtschreibung abgedruckt wurde...</span>