Verfasst: 9. Apr 2005, 16:52
Original von Süddeutsche.de
Blutwürste in Pelle
Echo-Verleihung 2005
Von Joachim Lottmann
Musikgut in Deutschland at its best: Bei der Echo-Verleihung triumphieren mal wieder die Geschmacksdespoten der Ewiggestrigen.
Bildlink: <a href='http://mitglied.lycos.de/Rume/pics/nena2005.jpg' target='_blank'>http://mitglied.lycos.de/Rume/pics/nena2005.jpg</a>
Diese alten Menschen mitten im Terrain der Jugend, diese Perversen, das hat mich immer schon abgestoßen. Diese ewigen Ralph Siegels und Katja Ebsteins: brrr! Das war schon vor zehn Jahren, vor zwanzig, vor -- ja, wann hat es eigentlich angefangen? Dass solche fetten Hausmeister-Typen wie Grönemeyer in Jugendsendungen auftraten und verlogener Charity das Wort redeten? Bleiben wir einfach beim Samstag, dem Tag also, als der Papst starb. Genau zu der Zeit wurde der so genannte Echo verliehen, angeblich der zweitwichtigste Musikpreis der Welt. Nach dem Grammy, der sicherlich kaum besser ist. Derselbe verlogene Ausschuss, wenn Sie mich fragen. Industrie-Dreck von alten Säcken, gemacht für sie selber, aber falsch etikettiert als ,angesagte Musik‘.
Zur Realität: Das abgelaufene Jahr war das Jahr der jungen deutschsprachigen Musik. Es war phänomenal. Nie zuvor hatte es das gegeben: Dass deutsche Gruppen mehr verkauften als englische. Stichwort Silbermond, Juli, Wir sind Helden, Dresden Dolls, all die anderen. Würden trotzdem wieder Ladenhüter wie Peter Maffay, Udo Jürgens oder gar noch ältere die Preise abräumen? Erneut Katja Ebstein? Immer noch Rex Gildo, posthum? Oder so ein Geistloser wie Gildo Horn? Oder Schnappi das Nilpferd?
Als Erstes wird Antje Vollmer, die Alterspräsidentin des Bundestages, begrüßt. Dann Klaus Wowereit, der Bürgermeister. Der Saal ist übrigens riesig, fasst Tausende Krawatten- und Anzugträger, weißhaarige Burschen zumeist wie im Parlament. Selbst die jungen unter ihnen sind über 30 und stecken in speckigen schwarzen Kombinationen wie Blutwürste in der Pelle. Nirgendwo Farbe. Als einer in einem bordeauxroten Anzug auftaucht, lachen die Fotografen. Überhaupt die Fotografen: Sie ersetzen die Jugend komplett. Sie kreischen bei jedem Promi wie früher die Mädchen bei Robbie Williams.
Die einzige authentische junge Person ist Yvonne Catterfeld. Diese Augenstellung! Sie ist wirklich nett. Doch wenige Sekunden später taucht schon Thomas Gottschalk in Ledermontur auf. Lange Haare, jung geblieben wie 1972. Avril Lavigne, 22, die letzte Pubertierende des Erdballs, ist zwar nominiert, wird aber mit keinem Wort mehr erwähnt. Millionen Fans unter Schülerinnen? Unwichtig! Kein Argument gegen Peter Maffay! Die Kamera fängt sein stoisches Indianergesicht immer wieder ein, als wäre er als Konrad Adenauer wiederauferstanden.
Natürlich gewinnt den ersten Echo Anastacia, sprich: anästeyischia. Ein blutleerer Brüllelefant. Röhrt wie ein Hirsch. Die Frau sieht aus wie 45, wie die dominante Mutter vom Wowereit, der wiederum wie 25 aussieht. Gott, was für ein Haufen! Was hat das alles mit Jugendkultur zu tun? Na alles, aber mit Jungsein nichts. Als Silbermond am Ende einmal Danke sagen dürfen, spürt man, welcher Stromschlag augenblicklich in die toten Fernsehkästen rast. Es ist, als reiße der Schleier der Gerontokraten für Minuten auf, als verbrennten sich die Reinhard Meys (nominiert), Westernhagens (spielte seine neue Single), Phil Collins (nominiert), Marianne Rosenbergs und so weiter die gierigen Finger. Elende Krämerseelen! Von denen hat keiner eine Idee, eine Aura -- und schon gar keine Bedeutung. Da steht keiner für etwas, außer für das Alter, also Stillstand, Denkverbot, Repression. Es ist Mist, was sie uns hinhalten! Warum sagt das keiner?
Das Publikum ist stattdessen total mau. Keinerlei Resonanz. Tödlich! Der Moderator Oliver Geissen ist freilich keiner, der das Eis zum Schmelzen bringt. Ein Kfz-Verkäufer, keine Spur jugendlich oder gar charmant, nur unsympathisch. Einfach ein weitereres übles Ärgernis, wie fast alle im Saal. Außer Barbara Schöneberger natürlich.
Peter Maffay hat den längsten Act. Lederhose, offenes Hemd, 55 Jahre. Auch die Mitstreiter sind kaum jünger. Tattoos überall, Ketten, esoterische Zeichen, Schwarzhemden -- die Geschmacksdespotie der Ewiggestrigen sozusagen. Die immer gleichen Riffs, in 30 Jahren nicht einen Ton dazugelernt. Wer soll da klatschen, wer soll da kreischen? Wieder nur die Fotografen, später, wenn sie ihr Bild brauchen. Es sind Hunderte da, Hunderte auch schreibende Journalisten, aber wieder wird nicht einer einen einzigen Satz schreiben, der lesenswert wäre. Verkommene Gesellschaft!
Dann Annett Louisan, Großväterchens Liebling. Wenn die 45-Jährigen heute wie 35 daherkommen, so die 17-Jährigen wie Siebenjährige: "Ich will doch nur spieln, ich tu doch nichts . . ." Schwamm drüber (sie gewinnt gleich mehrere Echos). Hansi Hinterseer ist nominiert, die Höhner auch. Hansi Hinterseer ist jünger, ein kraftstrotzender Bergfex von höchstens 50. Dann die Kastelruther Spatzen, dann die Randfichten. Und die Beastie Boys, direkt aus der Familiengruft geholt. Die sollen gerade erst in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hip gewesen sein. Auch Rammstein wird nun entdeckt, zehn Jahre zu spät, und die Boehsen Onkelz, 15 Jahre zu spät. Doch nun kommt das Irrste: Adam Green ist doch tatsächlich angereist. Ja, genau, der 23-jährige Superstar aus USA! Die heißeste Sache weltweit -- aber er wird nicht erkannt, nicht beachtet. Kein Fotograf schreit. Und als dann doch alle schreien wie am Spieß, dreht sich Adam Green lächelnd zu der Meute und sieht, dass sie nicht ihn, sondern Jenny Elvers meinen, die hinter ihm steht.
Das ist der Echo, besser kann man es nicht zeigen. Die Ärzte sind natürlich wieder nominiert, so dass irgendwann nur noch die Toten Hosen fehlen. Udo Jürgens quakt wieder am Klavier und danach noch lange ins Mikro. Schade, der Mann hat eigentlich ein gutes Gespür für die Jugend. Insgeheim findet er sich und seine Rolle hochnotpeinlich. Als er einmal mit der russischen Lesbengruppe tATu in eine Talkshow gesperrt wurde, war er als Einziger von den originären 19-Jährigen angetan. Es tat ihm ersichtlich weh, wie Gottschalk den üblichen grienenden Altersspott über sie ergoss. Aber jetzt ist wohl eh alles egal, die Pferde gehen mit ihm durch, mit Udo Jürgens, und er hält eine endkrass ödende Laudatio auf irgendeinen Musikindustrie-Knecht, der Musicals von Andrew Lloyd Webber ins Deutsche übersetzte. Einen Knilch von mindestens 70, schlohweiß das Haar, unsexy die Goldrandbrille. Der absolute Tiefpunkt ist erreicht. Schlimmer geht's nun nimmer. Genau in dem Moment stirbt der Papst. Die Erlösung.
Das Fernsehen bricht die unmuntere Sendung augenblicklich ab. Doch hoppla -- eine After-Party ist ja noch auf dem Programm. Die müsste nach dieser Logik natürlich erst recht abgesagt werden. Aber nein, die Party ist wohl unverzichtbar. Ich merke schnell, warum. Weitere Heerscharen von Senioren strömen nämlich herbei. Vielleicht Leute, die für die Verleihung keine Karten kriegten und nun erst recht die Prominenten sehen wollen. Aber die Prominenten sind natürlich längst weg, jedenfalls die halbwegs guten. Geblieben sind wieder nur Ralph Siegel, Katja Ebstein, Jenny Elvers und so weiter. Siegel ist kein schlechter Mann. Einer der wenigen über 60, bei denen ich gern einmal Gast beim Abendessen wäre. Auch dass er ein viel zu junges weibliches Sexualobjekt vor sich herschiebt, sozusagen Hand an die sexuellen Ressourcen des Landes legt, die Jugend beklaut, der alte Schlawiner, finde ich besser als die unfitte Art der anderen Bonzen. Nur meine ich, dass er für jede andere Führungsaufgabe im Lande besser geeignet wäre.
Die Party ist natürlich furchtbar. Der Tod des Papstes stört keinen -- genau das ist so furchtbar. Sie finden den Gestorbenen nur lächerlich, nicht der Rede wert. Weil er das hat, was sie am meisten verabscheuen: Meinungen, eine geistige Haltung, einen Widerstand zum totalen Konsumismus. Für sie ist das "alt". Dabei ist es jung, und sie, die jetzt mit viel Appetit in die Lachscroissants beißen, sind viel älter als der Papst. Keinerlei Jugend ist noch anwesend, das versteht sich ja von selbst. Buchhalter, angegraute Agenturleute, Werber, die Vertriebsmanager der Phono-Branche und so weiter. Auf wessen Kosten schlagen sich eigentlich all diese verbiesterten Büro-Gesichter die Bäuche voll? Etwa auf Kosten der Jugendlichen, die die CDs kaufen sollen? Brennt bloß schwarz weiter, Kinder!
Joachim Lottmann ist 48 Jahre alt und lebt in Berlin. Zuletzt veröffentlichte er den Roman "Die Jugend von heute".