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BeitragVerfasst: 30. Apr 2007, 10:16
von Subtuppel
obwohl Grönemeyer-Bashing so in ist, hier mal ein wirklich gelungener Ansatz :lol:

        Von Klaus Bittermann

Grönemeyer, Herbert – Es hat schon so manchmal seine Vorteile, kein Fernsehen zu gucken und kein Radio zu hören. Mit dieser weisen Entscheidung für die mediale Enthaltsamkeit entgeht man der Belästigung durch Prominente, die sich ihrer Existenz durch die Medien versichern müssen und zu diesem Zweck sich aufdringlich in die Gehörgänge ahnungsloser und unschuldiger Menschen schrauben und sie quälen. Plötzlich wird die Welt um einiges schöner und angenehmer, aber dann beging ich den unverzeihlichen Fehler und riskierte völlig unnötigerweise einen Blick in den Spiegel, wo man dem Mann großzügig Platz zur Selbstdarstellung eingeräumt hatte. Hastig blätterte ich darüber hinweg, aber es war zu spät. Die Botschaft war angekommen. Grönemeyer hat ein neues Album im Angebot. Vielleicht hätte ich es vergessen können. Ja, ich glaube, es hätte klappen können. Aber eben nicht mit Herbert Grönemeyer. Ganz ohne böse Gedanken und völlig arglos reiste ich am 10. März nach Bochum ins ehemalige Ruhrstadion, um die Dortmunder Borussen im Abstiegskampf zu unterstützen und mir mit eigenen Augen ein Bild vom Zustand der Schwarzgelben zu machen. Ein schwerer Gang von Berlin aus, aber was soll man tun, wenn man in einer fehlgeleiteten Sozialisation von den Schwarzgelben infiziert wurde. Das hat man ein Leben lang an den Hacken und man kriegt es nicht wirklich wieder los. Klar, es gibt schöneres als mit der Bundesbahn nach Bochum zu fahren, um dort aller Wahrscheinlichkeit nach einen Grottenkick beizuwohnen. Aber es gibt eben immer die zugegeben geringe Chance, einem Wunder beizuwohnen, und das will man sich nicht durch die Lappen gehen lassen, weil man weiß, dass man sich das später nie verzeihen würde. Solche lebenswichtigen Dinge rauschten mir durch die Birne, jeder Gedanke an Grönemeyer war verscheucht. Und dann, kurz vor dem Anpfiff, verliert jemand am Lautstärkeregler der Stadionanlage die Nerven, dreht bis zum Anschlag auf und walzt mit Grönemeyer die Schlachtgesänge der Fans platt. Er hatte mich also doch noch erwischt. Volles Rohr. Kalt. Grönemeyer. Bochum. Puuuh! Auch nicht besser als die kurz vorher durchs Stadion wie chili von carne schwappende VfL-Hymne: »Vfl, mein Herz schlägt nur für Dich, wir werden immer zu dir stehn, VfL, VfL.« Das nackte Grauen.

Bochum. Klar. Ich hätte dran denken können. Aber man ist eben nicht immer auf alles Schlimme vorbereitet. Wer ist das schon? Ich nahm also die Herausforderung an. Also Grönemeyer. Schließlich wurde es höchste Zeit für die Kolumne. Ich hörte den Verlagsleiter bereits mit den Hufen scharren. »Zieh deinen Weg«, heißt einer der neuen Songs. Zieh deinen Weg? Doch, kein Verleser: »Zieh deinen Weg / Folg deinen eigenen Regeln / Zieh deinen Weg / Keine Angst vor richtig und falsch / Wer die Wahrheit kennt / ist niemals überlegen / vertritt deinen Punkt / aber zeug immer von Respekt.« Schwer zu sagen, was das ist. Hört sich ein wenig nach Heinz Rudolf Kunze an. Nach Erbrochenem, das aus ökologischen Gründen wieder aufbereitet wurde, der Sinn jedoch auf der Strecke bleibt, denn welcher moderne Mensch braucht heute noch Sinn? Oder Logik? Im Zweifelsfall nennt man das Erbrochene Lyrik, denn Lyrik, weiß jedes Kind, ist schwyrik. Hauptsache Richtung stimmt. Respekt zeugen. Jau. Und Weg ziehen. Und Punkt vertritt. Jeder hat seinen Punkt. Z.B. den G-Punkt. Dafür immer eintreten.

»Verrat dich nicht / Beharrlichkeit ist eine Tugend / Verstell dich nicht / Verfolge still dein Ziel / Spiegel dich / deinen Vorteil, deine Jugend / Schärf deinen Blick / Vergib Vertrauen immer zuletzt.« Das jedenfalls rät Dr. Grönemeyer seinen Patienten und verschreibt ihnen seine CD als Rezept. Seine Patienten nehmen die Kur dankbar an. »Nö, wir verraten uns nicht. Kommt gar nicht in die Tüte. Und – never mind – verstellen tun wir uns auch nicht. Geht klar, Herbert. Und Blick schärfen ist auch okay. Wir ham doch unsere Brillen auf.« Es ist eine wohltuende Aromatherapie, die Grönemeyer seinen Patienten verpasst und entsprechend leidenschaftlich bekennen sie im Chor mit dem Vorsänger: »O yeah, Beharrlichkeit ist eine Tugend!« Sehr gut. Das ist große Kunst. Wer dieses knarzende und ranzige Bekenntnis mit wirklicher Inbrunst, laut und mit voller Überzeugung über die Lippen bringt, der muss schon ein gewaltiges Rad ab haben oder einen in der Krone, was sich bei Dr. Grönemeyer und seinen Patienten ziemlich sicher ausschließen lässt. Aber es bleibt dennoch ein Verdienst von Grönemeyer, dass er die Zeile »Beharrlichkeit ist eine Tugend« in die deutsche Pop-Kultur eingeführt hat. Chapeau! Warum Grönemeyer allerdings Vertrauen nicht vergeben will, passt so gar nicht ins Bild. Weil Vertrauen nicht gut, Kontrolle besser? Oder was passt ihm daran nicht? Oder ist es ein Fall für: Oh Herr vergib ihm, denn er weiß nicht, was er singt?

Mit solchen Rätseln ist auch der Rest der Lyrik schwer bestückt. »Lass dir niemals dein Lachen stehln / auch wenn dir manchmal die Gründe fehln.« Ob Dr. Grönemeyer da seine Patienten nicht ein wenig überfordert? Denn auch wenn der Reim astrein ist, hab ich an dieser Nuss schwer zu knacken. Ich bin versucht zu fragen: Äh, wie war das noch mal im Mittelteil? Aber da ist Grönemeyer schon bei der nächsten Strophe: »Hab keine Angst vorm lächerlich sein / Schüchtern ist das neue forsch.« Da hatte Grönemeyer noch nie ein Problem mit. Gehört zum Geschäft. Aber müsste es nicht vielmehr heißen: Schüchtern ist das neue Frosch? Dann hätte man wenigstens was zu lachen, so wie bei folgender Strophe: »Wenn dir die Worte verloren gehn und dann / nimm die, die grad im Weg rumstehn.« Naja, wenn mans genau bedenkt, genau das tut Grönemeyer ja auch. Und denkt dabei, so würde Dichtung entstehen. Tut es aber nicht.

»Grönemeyer kann nicht tanzen« sang Wiglaf Droste mit Bela B. schon 1989. Dichten kann er aber auch nicht. Beides passt hervorragenden zusammen, wenn er auf der Bühne hin und herhampelt und grad im Weg rumstehnde Wörter hervorstößt und stammelt. Und die Menschen lieben ihn dafür, dass ers nicht kann, sie lieben ihn, weil er wie sie ist. Grönemeyer aber verwechselt diese Zuneigung aus Mitleid mit Erfolg und kommt sich so großartig vor wie der junge Bochumer in der aus Betonkübeln bestehenden und von Grönemeyer besungenen Bochumer Innenstadt, der ein T-Shirt mit der Aufschrift trug: »I’m so good. I scream my own name when I have sex.« Der Bochumer meinte das vermutlich ironisch, bei Grönemeyer wäre das eins zu eins. Ein niederschmetternder Befund, ich weiß, aber noch niederschmetternder war es, dass der BVB an diesem Nachmittag 2:0 verlor und schnurstracks auf die 2. Liga zusteuerte, versehen mit den besten Wünschen der Bochumer Fans. Es war gar nicht so einfach, so schnell zu trinken wie ich Grönemeyer und die Niederlage vergessen wollte.