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BeitragVerfasst: 20. Dez 2004, 02:19
von Subtuppel
Hallo zusammen!

Irgendwie hatte ich gedacht, das die Sammelkarte, die an meiner letzten Mail ein wenig Verwirrung hervorrufen würde - Fakt ist, bis auf eine Dame hat niemand gefragt, was den vollschlanken Herrn mit der Mofakette eigentlich ans Ende einer ansonsten durchaus seriösen Mail verschlug...

Für alle, die sich (nach W.Allen) nie getraut haben, zu fragen, hier die Antwort: Jede meiner Mails aus dem Land, in dem die Weihnachtsmänner schwitzen, wird eine Sammelkarte enthalten, die, gesammelt, ausgedruckt und zusammengeklebt, als Eintrittskarte zur Willkommensparty gültig sein wird - quasi ein Lese-Bonus-System (heutzutage liest man ja nicht mehr genug, nicht wahr?).

Zusätzlich löse ich in der jeweiligen Folgemail auch das Rätsel über die Herkunft der Sammelkarte.

Ein Beispiel: Bei Sammelkarte 01 handelt es sich selbstverständlich (hätten Sie's gewusst?) um die Darstellung eines randalierenden Heranwachsenden im frühen China. Gefunden habe ich dieses gelungene Bildnis zeitgenössischer Jugendkultur im chinesischen Thian Hock Keng, einem alten Tempel in Singapore.

So - wo war ich? Achja, ich glaube, ich endete mit "Ich melde mich wieder."

(Wie immer die Bitte, diese Mail an euer jeweiliges Umfeld... (sofern mir bekannt und von denen gewünscht) weiterzuleiten, da ich nur "Knotenpunkte" ansteuere.)

Naja, viel passiert ist im folgenden Monat nicht, viel gearbeitet (Donnerstag war mein letzer Tag), ansonsten das zunehmend besser werdende Wetter genossen... Ich widme dieser Mail also nicht so sehr dem Spektakulären, nein, in dieser Mail geht es um die kleinen, nur teilweise feinen Unterschiede, die mir bisher hier begegnet sind - wobei ich (noch?) nicht unterstellen will, dass Sydney auch nur annährend repräsentativ für Australien steht.

Das Fernsehen
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Die Welle, die von Amerika aus die Welt überschwappt (und teilweise auch schon in Europa Fuß fasst) - über Australien ist sie bereits zusammengeschlagen. Die Rede hier ist von der Werbung. Analog dem geflügelten "Kaffee-in-den-Zucker", möchte man hier fragen: "Möchten Sie vielleicht etwas Spielfilm zwischen der Werbung?" Es wäre nur halb so lustig, wenn die Werbeblöcke etwas länger wären, aber bisher stellt es sich (beispielhaft) bei einem gewöhnlichen Film in der Woche zur Prime Time so dar: Vorspann, die Hauptdarsteller beginnen ihren ersten satz - drei Werbespots, 2 Trailer für die in EINEM JAHR stattfinde "X-Factor"-Talentshow (ich glaube, in Deutschland heißt sowas Popstars) - die Hauptdarsteller beenden ihren ersten Satz, Gelächter, Szenenwechsel, ein Wagen biegt um die - drei Werbespots... gut, ich gebe zu, EIN WENIG habe ich übertrieben, aber es ist in der Tat echtes Nerv(en)training. Realistisch darf man so alle 5 bis 7 Minuten mit Werbung rechnen. "In der Kürze liegt die Würze" - und das denkt sich hierzulande nicht nur die Werbung sondern auch die sogenannten Nachrichten (wobei diese Übereinstimmung a) nicht die einzige ist und B) nicht zufällig wirkt - ich vermute, bei beiden hat das MARKETING die Hand im Spiel ;)). Die einzigen Nachrichten (ähnlich wie in Amerika according to Mr. Michael Moore in "Bowling for Columbine"), die es hier gibt, sind a) (spektakuläre) Unfälle, B) Morde c) Richter, die betrunken Unfälle bauen und Blutproben verschwinden lassen und natürlich d) Vergewaltigungen. Wobei ich versichern kann, dass hierzulande DURCHAUS manchmal etwas anderes passiert. Das gute - wenn man diese Nachrichten jetzt noch auf jeweils einen spektakulären Satz, der genug Spielraum für Spekulationen und unbefriedigten Wissensdurst lässt, dann stimmt das Format mit dem der Werbung hier überein! Als Beispiel versuche ich mal, die uninteressanten Erlebnisse des letzen Monats etwas aufzubereiten und in dieses Format zu zwängen - stellt euch das ganze einfach mit einem ernsten, besorgten Gesichtsausdruck vorgetragen vor:

"Die Dichte der Menschen (pM, für alle anwesenden Physiker) hat in unserem Appartment mit einem prozentualen Zuwachs von ca. 28,57% (3D-Graph mit rot blinkendem Tortendiagramm wird eingeblendet) einen dramatischen Höhepunkt von 9 erreicht.

Das "Royal Randwick", ein traditionsreiches Sydnier Pferderennen, hat der alljährlichen Miss WorstDress den Rang abgelaufen.

Der Sommersturm, der seit vorgestern durch die Stadt fegte, hat NEUE OPFER verlangt - zwei weitere UNSCHULDIGE Karnickel wurden von herabfallendem Geäst erschlagen."

Naja, da macht man sich so seine Gedanken, nicht? Etwas ausführlicher könnte man erwähnen, dass ich zwei neue Mitbewohner bekommen habe (davon eine, Meike, in meinem Zimmer, in dem wir jetzt (Tokio?) zu viert den Fußboden bedecken), außerdem das Royal Randwick Pferderennen besucht habe, wie das Wetter, die Strecke, die Ergebnisse waren... aber dafür ist in diesem Format eben keine Zeit, deshalb das WESENTLICHE - Ich habe noch NIE in meinem LEBEN soviele REICHE Frauen durchaus akzeptablen Alters (unter 30) mit SCHLECHTEM Geschmack gesehen. Pink war durchaus eine dominierende Farbe, durfte sich gerne auch verspielt mit knallrotem Lippenstift beißen und vergeblich versuchen, von dem GETÜDDEL aus Federn und Puscheln auf dem Kopf abzulenken - kurz, grauenhaft...
Und das Wetter spielt hier zur Zeit etwas verrückt, wir würden es wahrscheinlich "Aprilwetter" nennen, aber normaler Weise wäre hier schon seit Wochen Sonnenschein.

Das Essen
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Es fällt mir schwer, an diesem Punkt meiner Reise bereits detailierte Aussagen über die australische Küche zu machen - das wenige, was mir australisch erschien, konnte seine englische Herkunft schlecht verbergen und ich mich dementsprechend nicht immer durchringen, denn ESSEN wollte ich ja schon ;).

Allerdings ist es (hier in Sydney) kein Problem, sich abwechslungsreich zu ernähren - wenn man will, kann man Montags zu McDonalds, Dienstag zu Hungry Jacks, Mittwoch zu Ali Baba... nein, war nur Spaß. Ich koche hier fast täglich, wegen des schönen Klimas bekommt man hier gutes, günstiges Gemüse, und wenn man wirklich mal auf dem Weg etwas verspeisen will, steht einem die Küche der Welt zur Verfügung... Da hier sicher die Hälfte der Bevölkerung Asiaten sind, gibt es Indisches, Chinesisches, Japanisches... aber auch europäisch-stämmige Küche wie Italienisches, Französisches...

Es ist auch nicht unbedingt das WAS sondern das WIE, das den Unterschied macht: Egal, ob man sich hier ein englisches Sandwich, ein französisches belegtes Baguette, oder einen Burger holt - es wird in der Mitte zerschnitten, wenn man nicht schnell genug dazwischen geht...

In den Regalen kann man an fast allen Produkten die Fettfreiheit (immer über 97%) ablesen... richtig gehört, statt zu schreiben "only 3% Fat" kommen hier sen-sa-tio-nel-le "97% FAT FREE" auf die Verpackung... das geht dann auch gerne mal hoch in die "99,9% FAT FREE"... naja, was soll auch Fett in Schwämmen, Tellern, Klobürsten? Pervers wird's dann, wenn man ähnliche Auszeichnung auch auf Speiseölflaschen findet.

Manches ist auch durchaus einem Westfalen nicht unbekannt: Sie haben unser Wurstbrötchen (im Blätterteig) geklaut und es "Saussage Roll" getauft.

Andere Imitate wie "Frankfurter" gelingen da weniger, das leuchtende Rot des (Natur?)Darms lädt absolut NICHT zur Verkostung ein...


Der Verkehr
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Jaa - Linksverkehr ist bekannt, dachte ich mir. Aber wusstet ihr, dass man hier, wenn man in den Kreisverkehr (natürlich links) reinfährt, RECHTS blinken muss? Und den Blinker ERST wieder ausschalten darf, wenn man wieder aus dem Kreisverkehr raus will? Es sei denn natürlich, man will die Erste wieder raus, dann blinkt man direkt links...

Sehr gut sind hier die Ampeln an Hauptverkehrsstraßen (wie z.B. die der Kreuzung George St. und Williams St.): Man denkt zuerst, "da hat doch wieder wer die Fußgängerampel verdreht" und evtl. "warum dauert die Rotphase so lange", bis dann ALLE Autos halten - und ALLE Fußgängerampeln auf grün schalten und die Menschen kreuz und Quer über die Straße gehen; ein Bild für die Götter.

Die Ampelphasen sind auch nicht schlecht, grün ungefähr für 5 - 10 Sekunden (begleitet von einem Geräusch, dass an Strahlenpistolen aus einem C64-Spiel erinnert), danach allerdings 30 bis 40 Sekunden ein BLINKENDES Rot, bei dem man noch laufen darf, bis es dauerhaft rot leuchtet...

Zusammenefasst: Stellt euch einfach einen dicken ("Wer ist hier dick???") Gallier vor, der seinen Zeigefinger wiederholt zum Kopf führt.

Was wirklich praktisch ist (wenn man sich dran gewöhnt hat), die Autoampeln sind auf der gegenüber liegenden Seite...

Die 1600 Busse, die in Sydney unterwegs sind, sind eher gemütlich (als pünktlich) aber funktionieren im Allgemeinen gut. Aber auch das U-/S-bahnsystem funktioniert gut und ist im allgemeinen etwas günstiger. Etwas wirklich Lohnenswertes ist eine Fahrt mit Monorail Metro, die das Stadtbild um eine futuristische Note erweitern: Man stelle sich ein hellgraues Stahlband auf majestätischen Stützen vor, dass sich ca. 4 Meter über der Straße wild durch die Innenstadt schlängelt und von einer Bahn, die mich stark an die frühen Transrapid-Papiermodelle erinnert, die ich als Kind mal hatte... Fritz Lang hätte seinen Spaß gehabt.


Der Beruf
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Hier wird grundsätzlich gedutzt, vom kleinen Pony bis zum Streitross... und ich muss sagen, das ist nicht unangenehm. Es ändert nichts daran, dass es auch hier das typische "oben-sticht-unten" gibt, macht aber ansonsten irgendwie eine nettere Athmosphäre.

Gezahlt wird (je nach Job) wöchentlich, 2-wöchentlich oder monatlich. Interessante Erfahrung, fühlt sich ein wenig wie Taschengeld an ;). Die Arbeitswoche geht von Freitag bis Donnerstag, am Freitag wird überwiesen und Samstag findet man das Geld auf dem Konto.

Wie auch sonst herrscht hier im Beruf der freundliche, unkomplizierte "No-worries"-Umgangston der Australier vor, der mir durchaus entgegen kommt: Probleme werden gemeinsam angepackt und kurzfristig und unkompliziert gelöst.


Das Nationalbewusstsein
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Die Radiostationen müssen hier sind verpflichtet, eine bestimmte Menge australische Musik spielen, wobei es nicht so schwierig ist, dabei internationale Größen zu erwischen, darunter Kylie Minogue, AC/DC, Midnight Oil, Crowded House, John Farnham, natürlich Jet... man wundert sich, was die so alles an Musik gerade in den 80ern rausgehauen haben.

Produkte aus Übersee zu konsumieren scheint hier durchaus eine weit verbreitete Paranoia zu sein, sonst stände hier sicher nicht auf jedem 2ten "Australian produced" oder "Australian owned"... in einem Werbespot für ein Auto stand extra drunter "Filmed in locations oversea" - um es auf den Punkt zu bringen: Manchmal fühlt man sich ein wenig an Frankreich erinnert...


Die Namen
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Durchaus bekannte Dinge werden hier umgetauft, so heißt "Gilette" hier "Schick", "Axe" "Lynx", "Burger King" "Hungry Jacks" - Namen, die nicht unbedingt naheliegen und den Ethymologen in mir vor Rätsel stellt. Aber auch viele Orte haben hier richtig lustige Namen, Wollongong, The Town of 1770, Woolloomoolloo...

Womit ich eine spitzen Überleitung habe, denn Ich werde euch hiermit ent- und Sydney verlassen, als erstes zum Fruit-Picking in GUNDAGAI, einem Ort nahe Canberra. Ich werde da auch sicher etwas mehr offline sein, falls mich jemand versucht zu erreichen, Geduld, Anfang des neuen Jahres bin ich wieder in zivilisierterer Gegend.


Euch allen wünsche (auch wenn ich mich gestern bei Temperaturen von über 40° im Schatteng entgültig von Weihnachtsgefühlen verabschiedet habe) ich

FROHE WEIHNACHTEN

und

GUTEN RUTSCH


- nicht wirklich wörtlich, denn ich habe von hier unvorstellbaren Temperaturen unter dem Gefrierpunkt gehört ;)

Ich melde mich wieder.

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went down (under), Freddy Komp