Rezension/Leseeindrücke zu A. F. Spreng: Der Fluch

Alles was irgendwie Off-Topic ist

Beitragvon Palene » 6. Okt 2013, 19:31

(Edit: Der Text ist auf Open Office geschrieben und hier her kopiert. Offenbar werden kursiv geschriebene Textteile dabei nicht als kursiv übernommen. Drum stehen Titel und Zitate jetzt weder kursiv noch mit Anführungszeichen versehen da - aber ihr werden schon verstehen, wie's zu lesen ist, denke ich. ;) ).


Von einer Freundin auf das Büchlein Der Fluch von Alexander F. Spreng (ASP) aufmerksam gemacht, möchte ich nun, da sie es mir freundlicherweise auch prompt lieh, gerne meine Leseeindrücke teilen.
Die Seitenangaben beziehen sich auf die vermutlich einzige Textausgabe (http://www.aspswelten.de/books/112-das- ... -der-fluch).
Falls ihr den Text selbst noch lesen möchtet und dabei wert darauf legt, die Handlung nicht zu kennen: nicht weiterlesen! Allerdings bezieht das Büchlein meines Erachtens seinen Charme so­wie­so nicht gerade aus der umwerfend spannenden Handlung – aber eines nach dem anderen...

Das Büchlein bezeichnet sich selbst als „schaurige Versnovelle“. Als „schaurig“ habe ich es nicht wirk­lich empfunden, wenn auch übliche Motive der klassischen Schauerliteratur „abgedeckt“ wer­den. Der Text wirkte auf mich über weite Teile eher sehr belustigend, nicht zuletzt der zahl­reichen Reime nicht nur am Versende wegen, die mich teilweise an den Stil Heinz Erhardts erinnern („... und verschlang die kleine fade / Made ohne Gnade. Schade!“). Damit wären wir dann bei der Form: „Versnovelle“ trifft es recht gut. Sie umfasst 159 Strophen zu je 6 Versen, welche dem Reimschema abcbbb folgen. Zusätzlich gibt es in jedem a- und in jedem c-Vers einen Binnenreim und in jedem vierten Vers (also der ersten b-Wiederholung) einen Reim auf den c-Reim. Ach, wahrscheinlich ist ein Beispiel mit Markierungen einfacher nachzuvollziehen. Also – hier die erste Strophe; die Buch­staben sind natürlich von mir eingefügt:

Lieber Leser, sei willkommen (a) auf dem Weg, den du genommen (a)
auf der angegilbten Straße, die von Dir zu mir hinzieht (b ).
Lieber Leser, unbekannter ( c ), leise flehend Freund genannter ( c ),
einer Zukunft Abgesandter, ( c ) fern noch, nebliges Gebiet (b ),
die mein müdes, altes Auge nimmermehr im Spiegel sieht (b ).
Die dem Gewesenen entflieht. (b )
(S. 1)

Ich muss schon sagen, dass es mich beeindruckt, dass dieses doch recht komplexe Schema über 159 Strophen hinweg durchgehalten worden ist! Was den Wechsel von betonten und unbetonten Silben angeht (also das Metrum), gibt es ein paar kleinere „Ungereimtheiten“, die meines Erachtens nach nicht durch den Inhalt erklärt werden können, was ja sonst des Literaturwissenschaftlers Lieblings­beschäftigung ist. (Auf gar keinen Fall ist es möglich, dass ein Autor es halt mal – verständlicher­weise! - nicht besser hinbekommen hat, diese zusätzliche unbetonte Silbe zu vermeiden! Nein! Auf jeden Fall ist das sinntragende Absicht, die dem ganzen Werk eine völlig neue Bedeutung gibt!) ;)
Diesen „Ungereimtheiten“ zum Trotz bin ich auch hier beeindruckt – zumal es ja gerade nicht so „in“ ist, „formstreng“ zu schreiben...
Oh, an dieser Stelle noch einmal der Hinweis an potentielle Lese-Interessierte der Versnovelle: unbedingt laut lesen! Sich selbst (oder auch Zuhörern) vorlesen, nicht still für sich. Sonst kann der Text seine volle Wirkung einfach nicht entfalten. (Sorry, wegen des oberlehrerinnenhaften Tons – ist aber so! ;) ).
Bevor ich zu verdeutlichen versuche, warum ich den Text eher lustig als schaurig empfinde, eine ganz kurze Zusammenfassung des Inhalts: Der Erzähler berichtet von seiner ersten großen Liebe. Leider wird die Angebetete schon ziemlich bald nach Beginn der Beziehung vom Auto überfahren. Der Erzähler kann sich mit ihrem Tod jedoch nicht abfinden, exhumiert die Leiche und versucht nun auf verschiedenen Wegen, sie wieder zu beseelen, also zu einem klassischen „Wiedergänger“ zu machen. Wie oben schon erwähnt wird dabei auf klassische Schauermotive, z. B. die Er­schaf­fung von Leben à la Frankenstein Bezug genommen. Wie es ausgeht, wird hier nicht verraten!
Die folgenden zwei Verse – für mich ein Beispiel für die Lustigkeit der Novelle – erzählen davon, wie ein Verbrechen das nächste nach sich zieht. Der Erzähler hat bereits einen LKW gestohlen, der - mit Eis gefüllt – einen leichengerechten Transport seiner exhumierten Freundin gewährleisten soll. Jedoch stellt sich ihm folgendes Problem:

Heute mag das Bild des guten, alten Fahrzeugs fremd anmuten
doch in Zeiten ohne Kühlschrank war es allseits sehr beliebt.
Und so, gänzlich unverdächtig, fuhr ich langsam und bedächtig,
obwohl es mich wirklich mächtig innerlich zur Eile trieb.
Das Auto jedoch fuhr ausschließlich mit Benzin, schon aus Prinzip.
Und so wurd ich auch Kraftstoffdieb.

Heimlich schlich ich in Garagen und erfand Benzindrainagen:
Durch ein Schlauchstück floss es lebhaft plätschernd ins Kanister-Ziel.
Wie ich so den Treibstoff saugte und das Fahrzeug ganz auslaugte,
dass es nicht mehr zu dem taugte, was es sollte sein, mobil,
sah ich mich schon als Vampir, statt hämato- benzinophil.
Ich tat es oft und brauchte viel.
(S. 20f)

Humor beweist der Autor aber auch durch ironische Kommentierungen des Erzählers selbst:

Und trotz innerer Empörung nahm ich teil an der Beschwörung,
dass die längst entflohne Seele wieder in dem Körper sei!
Tränke, um die Trance zu schüren, Tänze, Haut, um sich zu spüren
und zum Höhepunkt zu führen … Hier ist mein Bericht vorbei!
[Anmerkung es Buchverlags: Sonst wäre er nicht jugendfrei.]
Ich sage nichts. Es bleibt dabei.
(S. 38)

Daneben hat der Text aber auch feinfühlige, ernstere Strophen, die an das im Barock und „bei uns“ (oder jedenfalls bei mir) so beliebte Vergäng­lichkeits­motiv (Vanitas) anschließen:

So ist, was du heut genossen, morgen schon zu Nichts zerflossen.
Alles, was du sicher wähntest, ändert nur ein einzger Tag.
Was du wider bessres Wissen glaubtest, würd dir nie entrissen,
musst du morgen schon vermissen – Raub von einem Schicksalsschlag.
[...]

In diesem Ton gehaltene Strophen hätte es für meinen Geschmack gerne mehr geben dürfen!
Gut gefallen mir die zahlreichen Anspielungen auf ältere Texte der Schauerliteratur oder auf grie­chi­sche Mythologie und dergleichen. Hier muss man schon entweder entsprechendes Vorwissen haben, fleißig nach gucken oder – einfach drüber hinweg lesen, was ich nach wie vor auch für kein großes Verbrechen halte. (Es sei denn, es geht um die Vorbereitung von Unterrichtsinhalten, liebe Schüler! ;)) Die Bezüge werden teilweise einfach durch „Name-Dropping“ (Poe, Shelley) hergestellt, teils aber auch ganz klar über Motivik und „Beinahe-Zitate“. Besonders gefällt mir hier eine Strophe, die auf dem Friedhof während des „Ausbuddelns“ der Angebeteten spielt. Der Er­zäh­ler fühlt sich hier unangenehm von einem Raben beobachtet und versucht, ihn durch Be­wer­fen mit einem Schuh zu vertreiben...

Beinah hätt ich ihn getroffen, doch – und das bekenn ich offen -
reichte schon ein kurzes Flattern aus der Bahn: Der Ast war leer.
Schon ließ er sich wieder nieder, putzte sorgsam sein Gefieder,
und ich warf mich schließlich nieder: „Bitte geh, ich kann nicht mehr!“
Sprach der Rabe: „Bitte sehr!“, als ob nie was gewesen wär.
Danach sah ich ihn nimmermehr.
(S. 11)

Ansonsten auffällig am Text sind vielleicht noch die vielen Vorausdeutungen auf das Schreckliche, Unaussprechliche, Unsagbare, das da noch erzählt werden soll, das Sich-Winden des Erzählers, der mehrfach betont, dass ihm das „Beichten“ dessen, was er tat, sehr schwer fällt und die häufige direkte Ansprache des Lesers (vgl. auch oben zitierte erste Strophe).

Alles in allem bin ich hin- und hergerissen, wie mir das Buch nun wirklich gefällt. Das mag daran liegen, dass ich es mir ganz anders vorgestellt hatte – viel ernster, schwerer, was auch mit an der äußeren Gestaltung (schlicht schwarz mit goldenem Aufdruck) und dem dem eigent­lichen Text vorangestellten Hinweis „Mahnender Brief und schaurige Versnovelle. Mit Vorsicht zu genießen und mit Umsicht zu verbreiten!“, den ich wohl einfach zu ernst genommen habe, liegen mag.
Wie gesagt bin ich aber von der Form des Textes beeindruckt und es hat mir Spaß gemacht, ihn mir (und teilweise einer anderen Freundin) vorzulesen … und Lustigkeit ist ja auch ein Wert, nicht wahr? ;)

Abschließend viele Grüße an des Buches Besitzerin! ;)

Palene
Benutzeravatar
Palene
Member
 
Beiträge: 80
Registriert: 28. Dez 2006, 11:24
Wohnort: Münster

Beitragvon Maila Nurmi » 9. Okt 2013, 10:44

Ich kenne das Buch nicht, aber es erweckt den Eindruck, als müsse es laut vorgelesen werden. Formal ist es in der Tat (in der heutigen Zeit) beeindruckend, ein etwas komplexeres Reimschema durchzuhalten... aber in diesem Genre ist man ja gern anachronistisch unterwegs.

Wäre doch was für eine Halloween-Lesung... nur mal so, als Idee... ;)
"Die Erwachsenen begehen eine barbarische Sünde, indem sie das Schöpfertum des Kindes durch den Raub seiner Welt zerstören, unter herangebrachtem, totem Wissensstoff ersticken und auf bestimmte, ihm fremde Ziele abrichten."(Robert Musil)
Benutzeravatar
Maila Nurmi
Board-Inventar
 
Beiträge: 3574
Registriert: 2. Sep 2008, 12:51


Zurück zu Smalltalk

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast