<span style='font-size:14pt;line-height:100%'>"Ohne Liebe leben"</span>
Der britische Star Morrissey über sein neues Album, seine Rastlosigkeit und sein gestörtes Verhältnis zur Musik aus dem Computer
SPIEGEL: Morrissey, Sie gelten als großer Melancholiker und berüchtigter Einzelgänger der britischen Popmusik. Auf dem Cover Ihres neuen Albums "Years of Refusal", das Mitte Februar erscheint, drücken Sie liebevoll einen Säugling an die Brust. Haben Sie sich kurz vor Ihrem 50. Geburtstag mit der Welt versöhnt?
Morrissey: Tatsächlich möchte ich mit dem Porträt zeigen, dass ich weicher geworden bin. Sebastien, so heißt der Kleine, repräsentiert das sehr schön: das Sichöffnen meines Herzens und der Schutz des Kindes vor der Welt da draußen. Vieles an mir ist lässiger, entspannter geworden. Ich gehörte nie zu einer Clique, habe mich in meinem Leben einfach zu oft verweigert, war immer im Krieg mit der Welt. Ich bin nun mir selbst und anderen gegenüber sehr viel toleranter als je zuvor, und das war mir wichtig.
SPIEGEL: Sagen Sie bloß, es geht Ihnen jetzt tatsächlich gut?
Morrissey: Ich habe mich damit abgefunden, ohne Liebe zu leben. Das klappt besser, als die meisten Menschen sich vorstellen können. Und mit zunehmendem Alter geht es mir tatsächlich immer besser. Eine erstaunliche Erkenntnis.
SPIEGEL: Werden Sie überhaupt noch weiter Songs schreiben können, wenn Ihre Laune so gut bleibt?
Morrissey: Wahrscheinlich nicht, aber was sollten das auch für Lieder sein?
SPIEGEL: Sie sind eines der Idole der britischen Popkultur, haben aber seit Jahren ein schwieriges Verhältnis zu Ihrer Heimat. Zuletzt wohnten Sie in Rom. Kommen Sie jetzt nach England zurück?
Morrissey: Nein, ich habe überhaupt kein Zuhause mehr, bin seit drei Jahren gewissermaßen obdachlos, weil ich immer unterwegs bin. Die meisten meiner Sachen sind in Lagerhäusern rund um die Welt untergebracht.
SPIEGEL: Die mächtige britische Musikpresse hat sich vor gut einem Jahr mal wieder mit Ihnen angelegt und Sie als weltfremden Exzentriker angeklagt, der die Traditionen des alten England beschwört und vor Überfremdung warnt. Was war da los?
Morrissey: In England steckt die Musikpresse in schweren Turbulenzen. Die Auflage sinkt; was dagegen hilft, sind wilde Sensationsgeschichten. Dazu kommt, dass ich mehrmals die Sünde beging, Preise und Auszeichnungen der Fachwelt abzulehnen. Das wagt sonst keiner, das hat sie nicht amüsiert. Und ich falle immer wieder darauf herein, dass britische Journalisten auch freundlich tun können. Aber sobald sie das Interview im Kasten haben, ändern sie die Fragen, die Antworten, also das gesamte Gespräch. Weil sie so eben ihre Skandale konstruieren. Aber niemand kann mir Ausländerfeindlichkeit anhängen.
SPIEGEL: Ihnen wird stets ein Hang zum Nostalgischen nachgesagt. Leiden Sie unter den modernen Zeiten, in denen alles digital und verfügbar ist?
Morrissey: Instinktiv lehne ich das alles ab. Ich habe nie ein Handy besessen, und dabei wird es bleiben, denn mit einem Mobiltelefon ist man immer leicht zu orten und zu überwachen. Es ist ein Alptraum, jederzeit lokalisierbar zu sein. Wenn ich so etwas besäße, würde ich an Verfolgungswahn sterben.
SPIEGEL: Aber Sie besitzen einen Computer?
Morrissey: Sogar mehrere. Aber ich habe keinen iPod und lade nie Musik aus dem Internet herunter. Musik aus Computern klingt entsetzlich, sie ist ihrer Klangfülle beraubt. Ich empfinde die meisten Errungenschaften der modernen Technologie als destruktiv, auch wenn sie natürlich oft hilfreich zu sein scheinen. Musik ist als Kulturform völlig entwertet, sie hat ihre kulturelle Bedeutung verloren. Überall, im Werbefernsehen, in jedem Film, in jedem Geschäft, surrt sie im Hintergrund. Und dafür bezahlen muss man auch nicht mehr. Als ich aufwuchs, war Musik viel kostbarer.
SPIEGEL: Wie wurde damals Popmusik zu Ihrem Lebensinhalt?
Morrissey: Ich stamme aus einer großen Familie, und als ich ein Kind war, liefen da diverse Teenagermädchen rum, die nonstop Popmusik hörten, sie waren besessen davon. Seit ich sechs war, geht es mir ähnlich. Ich habe die britische Musikpresse früher mit religiösem Eifer verschlungen. Heute wollen ja alle irgendwie wie Rockstars aussehen, haben zu Hause Verstärker und Gitarren und spielen am Heimcomputer schnell mal eine CD ein. Pop ist heute in der Gesellschaft in allen Schichten und Generationen etabliert. Doch Anfang der siebziger Jahre galt ich noch als Sonderling, weil ich Rocksänger werden wollte.
SPIEGEL: Haben Sie vor dem Spiegel in die Haarbürste gesungen?
Morrissey: Und ob, so laut und ausdauernd, dass sich die Nachbarn regelmäßig beschwerten. Aber Beschwerden konnten mich noch nie aufhalten, das geht mir bis heute so.
SPIEGEL: Das amerikanische Fachblatt "Rolling Stone" hat Sie unter die hundert besten Sänger aller Zeiten gewählt. Überrascht?
Morrissey: Nein, solche Listen sind für mich irrelevant. Wer kann sich anmaßen, die besten Sänger zu bestimmen? Ist das Mick Jagger oder Paul McCartney? So ein Quatsch. Die besten rühren dein Herz, allein darum geht es.
Das Interview führte SPIEGEL-Redakteur Christoph Dallach
<!--aimg--><a href='http://www.spiegel.de/img/0,1020,1410511,00.jpg' target='_blank'></a><!--Resize_Images_Hint_Text--><!--/aimg-->