RIP Captain Beefheart

Beitragvon Maila Nurmi » 18. Dez 2010, 15:41

Captain Beefheart ist tot

I May Be Hungry But I Sure Ain’t Weird. Don Van Vliet 1941-2010.


<!--aimg--><a href='http://www.furious.com/perfect/beefheart/desktopbeef.jpg' target='_blank'>Bild</a><!--Resize_Images_Hint_Text--><!--/aimg-->


Der Avantgarde Blues Musiker Don Van Vliet alias Captain Beefheart ist gestern im Alter von 69 Jahren an den Folgen einer Multiple Sklerose Erkrankung gestorben. Seine letzten Jahre hatte er, seit 15 Jahren an den Rollstuhl gefesselt, in völliger Isolierung mit seiner Frau Jan, mit der er 40 Jahre verheiratet gewesen war, in seinem Haus in der kalifornischen Wüste verbracht. Er hatte sich schon 1985 aus dem Musikgeschäft zurückgezogen und sich seither völlig der Malerei verschrieben, von der er, anders als von seinen Kritikerlieblingsplatten, auch recht gut leben konnte. Mit ihm verlässt uns eine der stärksten Identifikationsfiguren aus der Ära, in der künstlerische Verschrobenheit, der persönliche Freiheitsbegriff und der unbedingte Wille zur Vermählung von Kunst und Leben zu den Maximen der Gestaltung von Person und Gesellschaft gehörten. Er war die völlig künstlerische Person, ein Gesamtkunstwerk, so wie es der Spirit - und das vergessen die meisten "Fans" der Sixties - gefordert hatte.

The Freak

Captain Beefheart verkörperte wohl am Besten den Typ Künstler, den die Sixties ursprünglich als ihr Erbe verstanden hatten: Den "Freak". Sprunghaft, kreativ, genialisch, autoritätsimmun, versponnen, unberechenbar und stets rücksichtslos konsequent auf der Suche nach einem küstlerischen Fortschritt, der der Radikalität der Politik (antikapitalistisch, antiamerikanisch, diesseitsorientiert, hedonistisch) und der Umstellung der Lebensweise (freie Liebe, Drogen, Haare etc.) auch ästhetisch gerecht werden würde.

Anders als sein bester Freund Frank Zappa hatte sich Beefheart "niemals auf irgendwelche musikalischen Kompromisse eingelassen" (dass ich das nochmal schreiben muss, aber ich glaube es stimmt), nach eigener Aussage auch deshalb, weil er "von Musik nichts verstand".

Er soll zwar - so lese ich schon seit Jahren über ihn - über absolutes Gehör und eine 5 Oktaven Stimme verfügt haben, hat sich deshalb aber nie auch nur ansatzweise bemüht, Noten lesen oder schreiben oder ein Instrument spielen zu lernen. Dem Vernehmen nach habe er seine musikalischen Ideen seinen Mitmusikern, darunter dem jungen Ry Cooder, in Fragmenten vorgesungen oder in Diagrammen aufgezeichnet, die dann in ewig langen Sessions daraus die Beefheart Musik herausgearbeitet haben sollen - dabei wurde auf Metrik, Tradition, klassische Harmonie, nachvollziehbaren Songaufbau genauso gepfiffen, wie auf die finanzielle Beteiligung der Musiker (ähnlich wie bei Zappa, worüber sich der treue Beefheart-Mitfreak Zoot Horn Rollo in einem Buch ebenso beschwert hat, wie die vielen unbelohnten Mothers, Ian Underwood oder George Duke bei Zappa). Danach sang Beefheart darüber wieder eine abgewandelte Version seiner ursprünglichen Idee, soll aber nie einen Monitor- Kopfhörer dazu verwendet haben, damit ihn die "Musik nicht beim Singen stört".

Nicht nur das Charisma, die Persönlichkeit des witzigen Captain, sondern auch die Konsequenz und die Stringenz dieser Fragmente müssen wirklich beeindruckend gewesen sein, denn für diesses bizarre Spiel ("In der Wüste rumsitzen, Beefheart jodelt inspiriert und du musst daraus unverkäufliche Avant- Blues Platten basteln") haben sich über Jahre einige der großartigsten Musiker bereit gefunden - etwa Ry Cooder, Gary Lucas, Jon French oder der Pere Ubu Keyboarder Eric Drew Feldman - und die so entstandenen Beefheart Platten sind nicht nur auf eine seltsameArt zeitlos schön, sondern auch - wie ich höre - ziemlich schwer nachzuspielen.

Anders als die Musik der "Überlebenden" wie Neil Young oder Dylan, noch weniger als die Musik, der seit 1972 die "Time Life" - Hippie Compilations bevölkernden Simon & Garfunkel, Melanie, Doors, Joan Baez, ist die Musik von Captain Beefheart und seiner "Magic Band" wahrscheinlich für alle Zeiten zur Verklärung der Sechziger Jahre ungeeignet. Das Meiste, was er nach "Safe as Milk" "komponiert" oder aufgenommen hatte, ist heute wie damals für Folk- oder Sixtiespop-Ohren schlicht unhörbar. Einer undefinierten Versuchsgruppe vier Nummern vorgespielt - schon hat man vier verscheidene Meinungen, wie alt das ist, ob das Jazz, Kitsch, Lärm, Blues oder Post Punk sei, ob es eine "Birthday Party" Cover Band aus der Provinz oder der letzte Schrei in New York und ob es bitterer Künstlerernst oder eine Parodie ist. Und alle vier haben iorgendwie recht: "Trout mask Replica" ist purer Free Jazz, "Safe as Milk" vielleicht der beste ironische Kitsch, den Zappa immer versucht hatte, "Strictly Personal" begeisterter weißer Blues, "Decals" nimmt Pere Ubu, PIL und vor allem die Bad Seeds frech vorweg. Alle Platten sind sehr rau aufgenommen und könnten in den Sun Studios genauso entstanden sein, wie unter Jon Spencers Ägiden im Jahr 2000 im digitalen Heimstudio. Und witzig wollte Beefheart immer sein, aber für gute Witze braucht es oft die an Verbitterung und Menschenfeindlichkeit grenzende Konsequenz des harten Arbeiters - ob das jetzt Zappa von Beefheart gelernt hat, oder umgekehrt, können jetzt wohl nur mehr die beiden im Himmel beantworten.


Quelle: <a href='http://fm4.orf.at/stories/1670831/' target='_blank'>http://fm4.orf.at/stories/1670831/</a>
"Die Erwachsenen begehen eine barbarische Sünde, indem sie das Schöpfertum des Kindes durch den Raub seiner Welt zerstören, unter herangebrachtem, totem Wissensstoff ersticken und auf bestimmte, ihm fremde Ziele abrichten."(Robert Musil)
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Beitragvon asye_usu » 18. Dez 2010, 23:44

Ein Genie weniger :(
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